English summary: "Autonomous Parking: Buildings Learn to Drive Cars"
Fahrzeuge, die ohne Sensorik automatisiert fahren? Ein Gemeinschaftsprojekt zum Automated Valet Parking zeigt: Die Intelligenz muss nicht unbedingt im Auto stecken.
War im Parkhaus Messe West auf der IAA 2021 in München die Zukunft des Parkens zu sehen? Dort fuhren Autos wie von Zauberhand ohne Fahrer in bestimmte Parkpositionen, in die Waschanlage oder wurden von Laderobotern automatisiert mit elektrischer Energie für die Traktionsbatterien versorgt. Die Demonstrationsfahrten organisierte ein Gemeinschaftsprojekt, das Anfang 2021 unterdem Dach des VDA entstand. Ihm gehören mehrere Automobilhersteller an (BMW, Ford, Jaguar-LandRover, Mercedes-Benz, Volkswagen) sowie Zulieferer und lnfrastrukturanbieter (Bosch, Continental, Kopernikus, Unikie, Valeo). Sie wollen das Automated Valet Parking (AVP) durch Sensortechnik, künstliche Intelligenz und cloudbasierte Datenverarbeitung voranbringen.
Das fast schon Revolutionäre: Statt markenspezifischer Insellösungen haben die Projektteilnehmer eine standardisierte Plattform geschaffen, die eine gewisse Technologieoffenheit bei vollständiger Interoperabilität bieten soll. Herzstück ist eine innerhalb der ISO-Norm 23374 definierte Schnittstelle, über die alle damit ausgerüsteten Fahrzeuge von einem beliebigen Backend angesteuert werden können.
Die Technik für das AVP nach ISO-Norm 23374 ist weitgehend stationär. An der sogenannten Drop-Off-Zone im Parkhaus oder auf dem Parkplatz übergibt ein Fahrer sein Fahrzeug per App-Befehl und funkgesteuertem Anmeldeverfahren an das AVP System. Ab dort erfassen fest verbaute Kameras die Fahrzeugbewegungen. Inzwischen sind die Auswertealgorithmen so ausgefeilt, dass die aus Kamerabildern generierten Informationen ausreichen, um die Fahrzeuge im Parkhaus sicher zu koordinieren. Kopernikus etwa wertet die Kamerabilder mit neuronalen Netzen aus, die unter anderem Hindernisse erkennen und klassifizieren, die sich auf dem Fahrweg befinden. In München bremsten die Demo Fahrzeuge rechtzeitig vor Personen, Bobbycars und Fußbällen.
Leistung einer PC-Grafikkarte
Dabei bleibe der Aufwand überschaubar, betonte Kopernikus-Geschäftsführer Stefan Jenzowsky. Zur Berechnung der Trajektorien für ein Fahrzeug werde nur die Rechenleistung einer herkömmlichen Grafikkarte eines Gaming-PCs benötigt. Kopernikus hat die Technik so konzipiert, dass pro Recheneinheit derzeit vier Fahrzeuge getrackt und gleichzeitig gesteuert werden können. Je nach Parkhausgröße ist die Anzahl der Rechner im AVP-System skalierbar.
Die fertig errechneten Trajektorien werden dann als definiertes Protokoll über die standardisierte Schnittstelle ins Fahrzeug gespielt. Im Fahrzeug selbst ist für das AVP keine Umfeldsensorik erforderlich, lediglich elektronisch ansteuerbare Aktuatorik: eine elektrisch unterstützte Lenkung und Parkbremse, eine E-Gas-Funktion und ein automatisiertes Getriebe. Da diese Features in zunehmend mehr Fahrzeugen verbaut werden, wird sich nach Meinung der Projektteilnehmer das AVP nach ISO-Norm 23374 schon bald flächendeckend verbreiten - wenn die Fahrzeuge mit der standardisierten ISO-Schnittstelle und die Parkhäuser mit der AVP-Technik ausgerüstet werden. Aktuell erfüllen lediglich die S-Klasse und der EQS von Mercedes-Benz ab Werk alle fahrzeugseitigen Voraussetzungen.
Die Projektteilnehmer rechnen aber damit, dass AVP ab 2022 sukzessive in Parkhäusern angeboten wird. Erste Pilotanwendungen sind gestartet: So bereiten Bosch, Ford und der Parkhausbetreiber Bedrock seit Mitte 2020 das AVP in einem Parkhaus in Detroit für die Serie vor. Schon etwas länger, seit 2019, arbeitet Bosch gemeinsam mit Mercedes-Benz am gleichen Thema - zuerst in einem Parkhaus am Daimler-Hauptsitz, seit 2020 auch am Stuttgarter Flughafen im Parkhaus P5.
"Ob am Flughafen, im Stadtzentrum oder bei einem Sportevent: Das Parken könnte schon bald viel effizienter werden, mit kontaktloser Einfahrt, Bezahlung und Ausfahrt. Fahrzeuge, die auf der Suche nach einem Parkplatz endlos im Parkhaus kreisen, werden bald der Vergangenheit angehören", ist Joseph Urhahne sicher, der sich bei der Vorentwicklung von Ford Europe mit dem Thema Automated Driving befasst. Theoretisch kann sich die Parkkapazität um bis zu 20 Prozent erhöhen, wenn die Fahrzeuge raumoptimiert abgestellt werden, etwa auch am Rand der Fahrgassen.
AVP soll aber nicht nur das Ein- und Ausparken des Fahrzeugs übernehmen, sondern auch weitere Services ermöglichen. Denkbar ist etwa bei Elektrofahrzeugen, ihre Batterie an einem Laderoboter aufzuladen und anschließend den Ladeplatz für nachfolgende Fahrzeuge freizuräumen. Auch die Fahrt durch die Waschstraße oder das Ablegen von Paketen im Kofferraum sind mit AVP ohne Zutun des Fahrers darstellbar. Etwas andere Einsatzgebiete haben die finnischen Unternehmen Unikie und Valmet Automotive im Fokus: "In der Valmet-Fahrzeugfertigung im finnischen Uusikaupunki setzen wir dieselbe Valet-Parking-Technologie wie in München ein, allerdings in einer industriellen Umgebung im Innen- und Außenbereich", sagt Vesa Kiviranta, Chief Business Officer Automotive bei Unikie. Denn nach ihrer Fertigstellung fahren Neuwagen laut Kopernikus-Geschäftsführer Stefan Jenzowsky bei etlichen Prüf-und Logistikprozessen etwa sieben Kilometer weit. Hier könne die AVP-Technik die Neuwagen durch End-of-Line-Tests oder zu Verladeterminals dirigieren und so Logistikprozesse schneller, sicherer und bis zu 20 Euro günstiger gestalten.
Auch in abgegrenzten Zonen wie Häfen oder Minen lassen sich Güter mit der gleichen technischen Infrastruktur fahrerlos transportieren.
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